„Du hast es gut“, sagt sie zu ihrer Freundin. „Dein Mann ist so kommunikativ in seinem Beruf. Wie er mit den richtigen Worten die Leute gewinnt.“ - „Ja, stimmt schon. Aber wenn er nach Hause kommt, redet er nicht mehr. Dann geht er lieber Holz hacken und manchmal haben die Klötzchen Namen…“
Worte haben Kraft. Sie trösten und heilen. Sie mahnen und schaffen nötige Grenzen. Sie führen zusammen und befrieden. Wer das Wort führt, hat Macht. Die richtigen Worte zu finden, kostet manchmal sehr viel Kraft.
Ganz egal, ob zu Hause oder im Beruf.
Wenn ich viel reden muss, brauche ich zum Ausgleich dringend eine Zeit zum Schweigen. Nicht nur, um meine Stimme zu schonen. Auch mein Geist braucht Ruhezeiten. Selbst die innere Stimme – meine Selbstgespräche und kreisenden Gedanken – kann mich Kraft kosten. Ich brauche eine Pause von all dem.
Für die richtigen Worte braucht es das Schweigen.
Bei einem interreligiösen Friedensgebet in Düsseldorf sagt ein buddhistischer Mönch: „Wo wir von Frieden reden, lasst uns zuerst schweigen.“ Denn Worte – so der Mönch – sind missverständlich. Sie entzweien uns oft, weil wir anderes hören und verstehen, als jemand gemeint hat.
Vor dem Reden schweigen – aus Respekt vor dem Wort.
Aus Respekt vor der anderen Person, mit der ich spreche.
Gemeinsam schweigen und atmen – den Frieden in dieser Pause spüren.
Sich nicht in Rage reden. Pause machen. Einatmen. Ausatmen. Schweigen. Spüren.
Friedlich werden.
Aus Respekt vor den möglichen Missverständnissen und ihren tödlichen Folgen.
Schweigen – das ist von unermesslichem Wert für die richtigen Worte.
Besonders in unfriedlichen Zeiten. Der dänische Philosoph und evangelische Theologe Sören Kierkegaard hat vor 200 Jahren gelebt und schon damals gesagt: Der Zustand der Welt ist „krank“. „Wenn ich Arzt wäre und man mich fragen würde: Was muss geschehen... Ich würde antworten: Das Erste, was geschehen muss, ist: Schaffe Schweigen, bringe Schweigen zuwege.“
Im Schweigen alles mal sacken lassen. Wirre Gedanken sortieren. Ärger loslassen. Liebe einlassen. Das Herz weiten und die Zunge im Zaum halten.
In einem christlichen Kanon klingt das so: „Schweige und höre, neige deines Herzens Ohr, suche den Frieden.“
Schweige – höre.
So wie der Junge Samuel, von dem in der Bibel erzählt wird. Gott höchst persönlich ruft ihn in der Nacht. Samuel aber denkt, es ist Eli, der ihn gerufen hat. Der Priester für den er arbeitet. Doch Eli sagt: „Wenn Gott dich noch einmal ruft, Samuel, dann sag zu ihm: Rede, Gott, denn dein Kind hört.“ (1. Samuel 3,9)
Schweigen und auf Gottes Wort hören.
Nachts geht das gut, wenn die Welt stiller geworden ist. Oder am frühen Morgen. Oder zu einer anderen Zeit, zu der ich zur Ruhe kommen kann.
Und dann Gottes Wort auf mich wirken lassen. Es lesen, hören. Und mein Herz dafür öffnen.
„Neige deines Herzens Ohr“. Mich vorsichtig herantasten an die tiefe Weisheit Gottes, an eine Wahrheit, die mir das Wortgeklingel vom Tag und die Stimmen in mir selbst vernebeln.
„Die kleine Wahrheit hat klare Worte; die große Wahrheit hat großes Schweigen.“ hat der indische Dichter und Philosoph Rabindranath Tagore gesagt – und: „Wenn Blüten Worte sind, umgeben Blätter sie wie gesammeltes Schweigen.“
Im Schweigen zeigt sich Gott.
Als „stilles, sanftes Sausen“ (1. Könige 19,12) - nicht mit einer Jahrhundertrede.
Im Schweigen zeigt sich Gottes Wort, jenseits aller Wörter.
„Wort, das lebt und spricht, wenn die Wörter schweigen, Wort, das wächst und blüht, wenn die Sprüche welken: Komm durchs Buch der Bücher, das in allen Sprachen Hoffnung in die Welt bringt.“ (EG 592,1 , Text: Dieter Trautwein 1979)
Aus der Stille, aus dem Schweigen heraus kann ich Gottes weises Wort dichten, singen, summen, malen oder tanzen. Es gibt viele Sprachen, in denen sich Gott ausdrücken kann. Nicht allein die Wörter. Aber die eben auch. Und die werden wahrer und klarer, wenn mein Schweigen sie umgibt, wie die Blütenblätter die Blüte.
Landespfarrerin Petra Schulze, Leiterin Evangelisches Rundfunkreferat NRW
(in: Evangelische Frauen im Rheinland (Hrsg.), Andachten 2025. Worte finden. 24 Andachten durch das Kirchenjahr)
Gott, bevor ich rede, will ich schweigen
und dich bitten:
Öffne mein Herz für Dein weises Wort und lege es mir auf die Zunge.
Lass mich die richtigen Worte finden.
Hilf meinem Gegenüber, sie ohne Vorurteil aufzunehmen.
Schenk uns die nötige Kraft, im Gespräch respektvoll miteinander umzugehen.
Lass uns schweigen, wo wir vorschnell reden möchten
und reden, wo wir nicht schweigen dürfen.
Amen
Schweige und höre (Kanon) (Durch Hohes und Tiefes 325)
Wort, das lebt und spricht (EG 592)